Sonntag, 9. Juni 2013

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Das nächste Ziel ist Prüm. Doch wie jeden Tag heißt es zunächst einen kräftigen Aufstieg zu absolvieren, um aus dem Tal, in dem die Orte in der Regel liegen, hinaus zu gelangen. Das ist heute nicht anders. Auf dieser Etappe streife ich den Schwarzen Mann, den mit 697 Metern dritthöchsten Berg der Eifel. Mein treuer Begleiter, der Wanderführer, bietet mir eine Extrarunde auf den Gipfel. Dazu, so verrät er mir, müsste ich nur einen Bogen von 4,1 km schlagen und dann käme ich automatisch wieder zurück auf den Pilgerweg. Mein Ehrgeiz ist geweckt, die Herausforderung nehme ich an. Nach gut 8 km verabschiede ich mich also vom eigentlichen Weg und erklimme ihn, belohnt werde ich mit einer hölzernen Figur des finsteren Kerls.
Ob es daran liegt, das ich ihn nicht genügend würdige oder andere Gründe eine Rolle spielen sei dahin gestellt, aber ich verlaufe mich. Rund um mich her Wald, Wald und nochmals Wald. Die seltenen Wegweiser des Schneifel Pfads führen mich immer tiefer in die grüne Hölle. Bald ist kein Weg mehr erkennbar. Es bleibt mir nur im steilen Gelände nach den kleinen quadratischen Schildern an den Bäumen zu suchen. Dabei sehe ich quasi den Wald vor lauter Bäumen nicht, von den kleinen Schildchen ganz zu schweigen. Eine Schnitzeljagd ist nichts dagegen. Der Laubwald endet und der Nadelwald erobert sein Revier. Wolken ziehen auf und es ist düster und bedrohlich. Ich bin geneigt einzugestehen: "Ich, ja ich, ich habe Angst vorm schwarzen Mann. Zumindest ist mir mehr als mulmig."
Als ich schon nicht mehr so recht daran glaube, taucht plötzlich ein Weg vor mir auf. Die Erleichterung ist groß. Wo ein Weg ist, ist auch ein Ziel, ein Ort, Zivilisation. Es vergeht noch ca. eine halbe Stunde, gefühlt ist der Zeitraum deutlich länger, dann ist sogar Prüm ausgeschildert. 'Nur' noch 11,9 km! Ich schaue auf die Uhr, es ist kurz vor drei, ich laufe also schon sechs Stunden. Dann kommen wohl noch, in Anbetracht der zu bewältigenden Höhenunterschiede, zwei bis drei Stunden drauf, bis ich Prüm erreichen werde. 
Nach weiteren 6 km stoße ich wieder auf den Pilgerweg. Selten habe ich mich über das Zeichen der gelben Muschel auf blauem Grund mehr gefreut. Der Rest ist zwar kein Kinderspiel, aber machbar. Selten war ich allerdings erschöpfter als heute ...

Mittwoch, 5. Juni 2013

Bloß nicht verweilen in Hausweiler!

Bis in die Innenstadt von Brühl sind es gute 2 km. Dort mache ich einen Frühstücksstopp und genieße den heißen Kaffee.
Dabei versuche ich meine nächste Übernachtung in Vernich zu buchen. Ein völlig neues Erlebnis: die Frau am Telefon der ersten Pension ist richtig unfreundlich und herrscht mich an: "Ein Zimmer? Heute Abend? Nee, das geht nicht, da müssense zwei Wochen vorher anrufen. Aber doch nicht heute, das geht nicht!" Aufgrund meiner neuen Gelassenheit als Pilgerin diskutiere ich nicht mit ihr über den geforderten Buchungsvorlauf, sondern nutze eine ihrer wenigen Atempausen in der Tirade, um mich für die Informationen zu bedanken und lege fix auf. 
Bei der Pension, die ich als nächstes ins Auge fasse meldet sich niemand. Ich stoße auf ein Hotel im nächsten Ort, rufe an und bekomme ein Zimmer.
Auf geht's, diesmal laufe ich an dem hübschen Flüsschen Erft entlang. Euskirchen lasse ich aus und bleibe schön am Flusslauf auf wunderbar grünen, einsamen Wegen. Bei Vernich spricht mich ein auf einer Bank sitzender Mann an und fragt, ob ich pilgere. Das bejahe ich und setze mich zu ihm. Er ist sehr verzweifelt, seine Frau ist vor kurzem gestorben und er hadert. Kann nicht wieder Fuß fassen und kann auch nicht die schönen Seiten des Lebens sehen. Nur Verzweiflung und Zukunftsangst.
Nichtsdestotrotz ist er an meinem Weg interessiert und zieht das auch für sich in Erwägung. Für einen Neuanfang. Als er hört, das ich durch Nonnenbach wandern werde, legt er mir das Café Maus ans Herz. Geführt von Frau Maus, mitten im Wald gelegen, da war er oft mit seiner Frau. Ich freue mich über den Tipp und sage, ich werde dort auf jeden Fall eine Rast einlegen. Sodann bekomme ich meinen ersten Auftrag, nämlich Frau Maus von ihm, Herrn Schwan, zu grüßen.
Weiter geht es an der Erft entlang. Dann erreiche ich Hausweiler und bin entsetzt. Der Ort ist fürchterlich. Er wirkt Elend, trost- und leblos sowie arg verfallen. Übergeblieben ist er und keiner will ihn mehr. Anscheinend auch die Einwohner nicht. Besucher wie ich schon gar nicht!
Meine Unterkunft ist nicht besser. Das sogenannte Hotel war einmal, doch gehört längst der Vergangenheit an. Die 76 jährige Frau Borkenhagen hat den Betrieb längst aufgegeben. Monteure quartieren sich zuweilen noch hier ein. Der Gasthof ist schon viel Jahre geschlossen (mein Wanderführer wurde 2009 herausgebracht), gerade baut ein Osteuropäer, einst auf Montage, ihr die Wohnung ins Erdgeschoss, da sie keine Treppen mehr steigen kann. Mir schwant Übles.
Sie zeigt mir mein Zimmer. Ich versuche nicht allzu genau hinzuschauen. Es ist einfach nur dreckig. Immerhin wirkt das Bett frisch bezogen. Ich will's nicht weiter hinterfragen.
Auf den Boden werde ich auf keinen Fall einen unbeschuhten Fuß setzen. Ekelfaktor ohne Grenzen!
Es hilft nichts, ich bin total kaputt und ein anderes Domizil gibt es erst in ca. 7 km. Also Augen zu und durch. Aber es ist widerlich. Das führt dazu, dass ich jetzt schon Angst vor dem Frühstück morgen früh in diesem Etablissement habe. Ab in's Bett, damit ich möglichst wenig von dem Grauen wahrnehme.
Leider hilft es auch nicht, dass ich mir vor Augen führe, dass die alte Frau es einfach nicht mehr in Schuss halten kann, denn das birgt ganz fürchterlich realistische Schlussfolgerungen von etlichen Stufen der zunehmenden Verwahrlosung.
Irgendwann nach einer langen, unruhigen Nacht dämmert endlich der Morgen. Auch im Bad mag ich nicht barfuß gehen und in der spackig-schimmligen Dusche bin ich nur damit beschäftigt, nix zu berühren. Ach, könnte ich doch schwebend duschen ...
Das Frühstück findet im Erdgeschoss der heruntergekommenen Baustelle statt. Frau Borkenhagen hat den Tisch gedeckt und ich bringe es nicht über's Herz einfach zu gehen.
Und ganz ehrlich, es sieht weniger schlimm aus, als ich befürchtet habe. Sie schenkt mir Kaffee ein und setzt sich mir gegenüber.
Derweil schneide ich ein Brötchen auf. Die Konsistenz spricht für ein Mindestalter von zwei Wochen und garantiert nicht zum ersten Mal aufgewärmt. Es schaudert mich.
Frau Borkenhagen sagt: "Die Brötchen sind nicht so gut.".
Das bestätige ich ohne jegliche Einschränkungen.
Dann erzählt Frau Borkenhagen mir ihre Lebensgeschichte. Aus Brühl stammend, geschieden, gebaut, seit 27 Jahren dieses Haus, Tochter wohnt in Köln, sei faul, bekommt seit Jahren Hartz 4 und erbt nix. 
Ich frage nach dem anderen Gasthof, dem Hausweiler Hof. Sie winkt nur ab. Der Besitzer sei schon über 80 und da laufe gar nichts mehr. Hmm, das lasse ich so stehen, es scheint mir so sein zu können.
Das Frühstück bringe ich mit Anstand hinter mich. Selten habe ich mich mehr auf den Aufbruch gefreut.
Wenn ich noch eine Empfehlung aussprechen darf: meidet Hausweiler wie der Teufel das Weihwasser. Es ist fürchterlich, es ist eine Strafe. Ich will und werde nie wieder einen Fuß in diesen Ort setzen.