Sonntag, 13. Mai 2012

Menschenleer und waldreich - eine Begegnung der besonderen Art

Die Strecke des Pilgerwegs ist menschenleer und waldreich. Einsam. Plötzlich nicht mehr, denn es stand ein großer schwarzer Hund auf dem Weg, ca. 30,65 Meter vor mir und bellte mich knurrig an.
Sofort fühlte ich eine Seelenverwandtschaft mit der literarischen Gestalt "Herr Lehmann" aus dem gleichnamigen Roman von Sven Regener. Doch es gab ein paar kleine Unterschiede bezüglich unserer Situation.
Erstens torkelte Herr Lehmann früh morgens und hochgradig besoffen aus einer Berliner Kneipe. Ich war stocknüchtern und es musste bereits früher Nachmittag sein.
Zweitens hatte Herr Lehmann eine Flasche Hochprozentiges dabei, dieses Elixier teilte er sich mit dem Hund, der ihm den Weg versperrte und besänftigte ihn so. Genau genommen schliefen beide ein, Hund und Lehmann.
Ich verfügte über keinen Schnaps und in der gottverlassenen Gegend deutete nichts, aber auch gar nichts auf menschliches Leben oder gar einen Kiosk mit Schnapsverkauf hin. Was nun? Wo war des Hundes Herrchen? Geschwind rekapitulierte ich meine Situation: gut 30 Meter vor mir verstellt mir ein kläffender Köter, schwarz und von kräftiger Statur den Weg. Bis auf einige herumschwirrende Insekten sind wir mutterseelenallein.

Zeit, altes Halbwissen zu erinnern: bloß keine Angst zeigen. In Ermangelung anderer Ideen entschied ich mich für diese Strategie. "Ich habe keine Angst vor dir, also verpiss dich", redete ich mir ein und konzentrierte mich auf die Vegetation am Wegesrand. Denn wenn ich nicht an den Hund denke, kann ich auch keine Angst vor ihm haben, so meine messerscharfe Logik. Es war kaum zu glauben, aber der Hund wich einige Schritte zurück, widerwillig allerdings. Dann stoppte er und wandte sich mir bellend wieder zu. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, gedanklich mein Mantra wiederholend: "Ich habe keine Angst vor Hunden, also verpiss dich!". Ach ja, nicht mein neues Hobby, den niederbüschigen Grünwuchs im westfälischem Wald, aus dem Sinn verlieren. Ablenkung! Erneut entfernte sich das Tier einige Schritte von mir, blieb dann aber wiederum stehen und sah mich an, vielleicht zehn Sekunden lang, bevor er dann urplötzlich rechts des Pfades im Dickicht des Waldes verschwand.
Ich stellte mir die Preisfrage: ist der Hund weg, nur weil ich ihn nicht mehr sehe? Oder lauert er mir auf? Eine gehörige Portion Optimismus zusammen kratzend ging ich weiter. Nichts passierte.

2 Kommentare:

  1. Ich glaube, der Schwarze Hund spielt im Leben eines jeden echten Pilgers eine wichtige Rolle. Paulo Coelho begegnete ihm ("Auf dem Jakobsweg" - Lesetipp). Mir ist er in Spanien ebenfalls begegnet (in Ermangelung Alkohols entschied ich mich dafür, meine Kekse mit ihm zu teilen ;-)). Und nun hat er Dir aufgelauert.

    Wichtig ist vermutlich nur, dass es sich um einen Test handelt (die Frage, wer uns da eigentlich testen möchte, ist mir zu philosophisch). Ich denke aber, wir haben den Test bestanden, indem wir unsere Angst besiegt haben. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erfahrung!

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    1. An den "Coelho Hund" hatte ich gar nicht gedacht.
      Kekse teilen scheint mir aber auch eine gute Lösung gewesen zu sein in deinem Fall.

      Vielleicht hast du Recht, dass es ein Test war, aber gerade bei schwarzen Tieren wird es auch sehr schnell sehr mystisch, ich bin da eher bodenständig.

      Und es war für mich übrigens durchaus auch testwürdig, in einem Waldabschnitt zu laufen, in dem sich unzählige fiese, grüne Maden dicht an dicht aus mehreren Metern Höhe abseilten...

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